Die DEA im Nationalsozialismus

Organisatoren
Wintershall Dea; Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.
Veranstaltungsort
Internationales Maritimes Museum
PLZ
20457
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
08.11.2023 -
Von
Rafael de Santana Nitz, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, Kassel

„Wirtschaft muss demokratisch sein, nicht politisch“, gab Michael Sasse, Kommunikationschef der Wintershall Dea, als Lehre über die Geschichte seines Unternehmens im NS-Staat an. Zusammen mit Andrea Schneider-Braunberger (Frankfurt am Main) eröffnete er die Tagung über die Historie der Deutschen Erdöl-Aktiengesellschaft (DEA) im Nationalsozialismus.

Zu Anfang veranschaulichte MANFRED GRIEGER (Göttingen) die Dezentralität des Unternehmens anhand des Standortes Rositz. Im Jahr 1916 gegründet, um der kaiserlichen Marine Heizöl zu liefern, war die Raffinerie originär rüstungsbedingt. Nach den Krisen der Republik verdankte Rositz seinen erneuten Aufschwung der Kriegsvorbereitung der Nationalsozialisten. Das Schicksal von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und Juden wurde eingehend erörtert. Deutlich ging hervor, dass der Repressionsaufwand die Produktivität minderte. In der darauffolgenden Fragerunde betonte Grieger die Eigenständigkeit der Standorte mit direkter lokaler Verantwortlichkeit.

RAINER KARLSCH (Berlin) referierte über Österreich als das für die DEA wichtigste Förderungsgebiet. Einleitend verwies er darauf, dass die DEA erst durch die gestellten Anforderungen durch die Nationalsozialisten auf den Erdölmarkt expandierte. Nach dem „Anschluss“ wurde die DEA bis zum Kriegsende der größte Erdölförderer in der Ostmark. Somit machten erst österreichische Erdölgebiete und die Anforderung der deutschen Rüstung die DEA zu einem bedeutenden Erdölunternehmen. Ein besonderes Augenmerk legte Karlsch auf das Agieren deutscher Investoren vor dem „Anschluss“. In einer geheimen NS-Ölpolitik kauften diese Konzessionen auf. Für die Kriegswirtschaft leistete die DEA daher einen bedeutenden Beitrag, war das Resümee des Vortragenden.

Einen makroökonomischen Ansatz verfolgte KARSTEN LINNE (Hamburg) mit seinem Vortrag über die Kontinentale Öl-AG (Konti Öl). Deren Gründung ging auf die Bestrebung zurück, einen deutschen Global Player in der Ölbranche zu etablieren. Die Definition des Charakters des Konzerns stellte für Linne ein kurioses Problem dar. Denn hier gab es – erkennbar an dem Aufsichtsrat – eine starke Verflechtung von Staat, Wirtschaft und Finanzsektor. So bezeichnete der Vortragende es als „Public-private-Partnership, NS-Style“. Allerdings war die Kontinentale Öl-AG, überspitzt ausgedrückt, „ein Öl-Unternehmen ohne Öl“ und blieb trotz großer Pläne hinter den gesetzten Ansprüchen zurück. Zuletzt kontemplierte Linne, welche Bedeutung der Konti Öl im NS zukam. Stand sie exemplarisch für ein Primat der Politik oder der Wirtschaft? Hier plädierte Linne für eine differenzierte Nivellierung zwischen den beiden Feldern, bei der von der Wirtschaft des Nationalsozialismus gesprochen werden sollte.

Über den ältesten Förder- und Produktionsort in Deutschland referierten JANA STOKLASA (Hannover), CHRISTIAN HELLWIG (Hannover) und RITA SEIDEL (Hannover). Sie behandelten die Relevanz der Region Celle im NS mit dem ergiebigsten Förderstandort Wietze.

Stoklasa ging auf die Entwicklung der Belegschaft in der NS-Zeit in drei Phasen ein, die sich an der Konfliktlinie Nonkonformität und Regimeloyalität entlang zogen. Generell konnte aufgezeigt werden, dass die Belegschaft umfassend militarisiert wurde. Hellwig behandelte das Thema Zwangsarbeit. Dieser widmete er sich oft in der Nachkriegsdimension, in welcher sie schneller als andere Kollektivverbrechen verdrängt wurde. Typisch für das NS-Regime war allerdings die Hierarchisierung und Differenzierung der Zwangsarbeiter nach Herkunft, obwohl es große Unterschiede in den lokalen Arbeits- und Lebensbedingungen gab. Zuletzt erörterte Seidel die Bedeutung eines wissenschaftlichen Institutes der Erdölforschung in seiner Rolle für Aufrüstung und Kriegswirtschaft. Die Technische Hochschule Hannover war die erste Hochschule in Deutschland, welche in der Weimarer Republik einen Stuhl für die Erdölforschung gründete. Bedeutend war der Lehrstuhl in der Ausbildung von Ingenieuren und der Etablierung einer Bohrmeisterschule.

Zum Abschluss der Tagung fand unter der Moderation von Ingo Köhler (Darmstadt) eine Podiumsdiskussion statt. In dieser stellte er den Diskussionsteilnehmenden (Schneider-Braunberger, Grieger, Sasse, Hellwig) Fragen zu den aktuellen Bezügen, der historischen Aufarbeitung und Besonderheit der DEA-Geschichte. Thematisiert wurde die enge Verzahnung von Rüstung und Entwicklung der DEA als Mineralölunternehmen in historischer Hinsicht und die zwar späte, aber gründliche Aufarbeitung der eigenen Geschichte der Wintershall DEA. Als Lehren für die heutige Zeit fand Grieger treffende Worte. Er betonte die Notwendigkeit einer Selbstreflexion, um ein Nebeneinander zwischen Normalität und zeitgenössischen Extremen zu überwinden, aber auch um das Konzept „Mensch als Ressource“ kritisch zu hinterfragen. Pointiert wies er darauf hin, dass zum Beispiel in der Abteilungsbezeichnung „Human Resources“ eine ähnliche Mentalität ausgemacht werden könne.

Es kann festgehalten werden, dass einige Aspekte der Mineralölindustrie im Nationalsozialismus weiter untersucht werden müssen. So ist über den in der Ostmark aktiven Konzessionskäufer Karl Eugen Schmidt wenig bekannt. Indes muss auch ein Blick auf die Zwischenkriegszeit der DEA geworfen werden, die mit der NS-Zeit als Einheit aufgefasst werden muss. Denn bereits während der Republik sammelte beispielsweise der Bohrbetrieb Wietze Material zu potenziellen Mineralölvorkommen weltweit. Im Archiv der Wintershall Dea liegen hierzu Unterlagen vor. In der Überlegung über den Stellenwert der Wirtschaft im NS ist der nivellierende Ansatz lobenswert. Wenn bedacht wird, dass NS-Deutschland seinen Öl-Hauptlieferanten – die Sowjetunion – attackierte, um daraufhin erfolglos zu versuchen, sich deren Ölfelder zu bemächtigen, ist die Konfusion um das Primat der Wirtschaft oder Politik komplett. Es war ökonomisch irrational, einen seiner wichtigsten Rohstofflieferanten anzugreifen. Zusätzlich war es eine politische Fehlkalkulation, die gesamte Strategie von dem Dilemma der Rohstoffknappheit beeinflussen zu lassen. Als offene Frage bleibt für den Schreiber dieses Berichts, wie die DEA und die erweiterte Mineralölindustrie in den Gesamtkontext des nationalsozialistischen Wirtschaftssystems gesetzt werden können. Zu wie viel Prozent konnte die deutsche Erdölbranche den Bedarf des Deutschen Reiches oder der Wehrmacht bedienen? War die deutsche Erdölstrategie realistisch oder war sie von vorne herein Wunschdenken? Zwar hat Rainer Karlsch auf viele dieser allgemeinen Fragen in „Faktor Öl“ (2003) eine Antwort gegeben, doch eine konkrete kontextualisierende Einbettung wäre hilfreich gewesen – auch für viele Laien im Publikum.

Interessanterweise war die geschichtsphilosophische Frage zum Lehrfaktor der Geschichte ein zentraler Bestandteil der Veranstaltung. Angesichts der täglichen Realität, die nahelegt, dass Fehler der Vergangenheit im Zeitgeschehen in ähnlicher Weise wiederholt werden, erscheint manchmal ein gelassener Zynismus als einziger Ausweg. Die vehemente Einforderung des Lernens von einem Nichthistoriker – wie am Anfang zitiert – stimmt in seiner Klarheit und Einsicht nachdenklich. Muss das historische Seminar nicht deutlicher und lauter propagieren, was aus der Geschichte gelernt werden kann? Müssen wir uns nicht stärker um den Einfluss auf kollektive Gedächtnisse bemühen, um Fehlinformation und Geschichtsrevision entgegenzuwirken? In einer Zeit, in der die lautesten Töne Unwahrheiten verbreiten, darf uns nicht die Stimme fehlen. Dies scheint die richtige Antwort zu sein. Manchmal braucht es Außenstehende, um daran zu erinnern.

Konferenzübersicht:

Andrea Schneider-Braunberger (Frankfurt am Main) / Michael Sasse (Kassel): Begrüßung

Manfred Grieger (Göttingen): Der Standort Rositz als Beispiel für die dezentrale Organisation der DEA

Rainer Karlsch (Berlin): Expansion nach Österreich. Die DEA in der „Ostmark“ zwischen 1938 und 1945

Marvin Brendel (Berlin): Profit über 1945 hinaus. DEA und Wintershall als Nutznießer des Reichsbohrprogramms.

Karsten Linne (Hamburg): „Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß der Staat die Entwicklung auf dem Mineralölgebiet der privaten Wirtschaft nicht allein überlassen kann.“ Die Gründung der Kontinentalen Öl AG

Christian Hellwig (Hannover) / Rita Seidel (Hannover) / Jana Stoklasa (Hannover): Erdöl aus Celle – Ein Rohstoff für die nationalsozialitische Aufrüstungspolitik und Kriegsfürhung

Podiumsdiskussion:
Moderation: Ingo Köhler (Darmstadt)

Andrea Schneider-Braunberger (Frankfurt am Main) / Christian Hellwig (Hannover) / Manfred Grieger (Göttingen) / Michael Sasse (Kassel)

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